UNTER TAGE
von
Thomas Ziegler

SF Bestseller, Kurzgeschichtensammlung, 1982
Bastei Lübbe Verlag, ISBN 3-404-22047-1, 190 Seiten, Sammlerpreis

Vorbemerkung:

Für mich war es wichtig, etwas mehr über die frühen Werke von Thomas Ziegler (Rainer Zubeil) zu erfahren. So suchte ich in meiner Bibliothek und wurde rasch fündig. Bereits der Aufmacher auf dem Titelbild sagte mir, dass ich das Richtige herausgesucht hatte: so warb der Bastei Lübbe-Verlag mit dem Hinweis „Die besten SF-Stories von Thomas Ziegler - Kurd-Laßwitz-Preis 1980“.

Zur Handlung:

Thomas Ziegler eröffnet diese Sammlung mit der Kurzgeschichte „Der Feind“. Herr Shreiber, so der Protagonist in der Geschichte, fürchtet überall den Feind um sich herum. In jeder Bemerkung des Vorgesetzten oder der Kollegen sucht er verräterische Anzeichen, die ihm in seinem Verdacht bestätigen, dass der Feind allgegenwärtig ist. In der beklemmenden Atmosphäre eines Überwachungsstaates agiert Shreiber sehr vorsichtig, stets bemüht seine wahren Gedanken nicht zu äußern. Selbst dem Angebot seines hilfsbereiten Kollegen Flecht begegnet er mit Misstrauen. Flecht nimmt ihm einen Teil der Arbeit ab, damit Shreiber seine Arbeitsnorm erfüllen kann. Nach diesem Freundschaftsdienst kommt es zu einer verhängnisvollen Begegnung.

In der Geschichte „Video“ ist der heranwachsende Job in Konflikt mit seinem Vater. Sobald der Vater von seiner Arbeit aus dem Büroturm kommt, hockt er vor dem Video. Mit Hilfe eines Sensivor-Stirnreifens verliert die Realität an Bedeutung und die Flucht in eine erlebbare und attraktive Scheinwelt wird ermöglicht. Jobs Mutter ist ebenso wenig für ihren 16-jährigen Sohn da. Nach der Nachtschicht in einem nahegelegenen Werk der Biochemischen AG sitzt sie oft stundenlang mit einem Cocktailglas in der Hand, um mit ihren Freundinnen zu telefonieren. Jobs einzige Aufmerksamkeit und Bestätigung scheint er bei seinem Freund Perez zu finden. So entschließt sich Job eine Abends ohne Erlaubnis den Wohnturm zu verlassen.

In „See you later, alligator“ wird der Erstkontakt eines Terraners mit einem Reptiloiden geschildert. Der Terraner Barnings ist in einer besonderen Mission entsandt worden. Eine universelle Bedrohung scheint in Kürze auch dieses System zu erreichen. Barnings soll das Planetensystem zu einer Verteidigungsallianz mit der Liga bewegen. Dabei wendet er List und Tücke an, um sein Ziel zu erreichen.

In „Holzmann weiß, was Menschen brauchen“ ist der Protagonist ein kleiner untersetzter Mann, dessen braunschwarze Haare sich bereits auf dem Schädel lichten. Wenn Holzmann seinen Wohnturm alltäglich verlässt, empfängt ihn eine Welt, die durch aufdringliche Werbung und hohen Energiebedarf gekennzeichnet ist. Der Energiebedarf zeigt bereits erkennbar die Auswüchse von Verschwendung. In dieser Welt begleiten sogenannte Abschlepper für kurze Zeit die Berufspendler, um für Produkte oder Dienstleistungen jeglicher Art zu werben. Aber Holzmann weiß, was die Menschen wirklich brauchen ...

In „Matuscheks Welten“ wird von einem Land berichtet, dessen Bewohner von einer allessehenden, alleshörenden, alleswissenden Medusa, einem myriadenköpfigen Kontrollapparat bespitzelt werden. Ein Land, dessen Medien Lügen predigen und alle Wahrheit manipulieren, Missstände verschweigen und jeden Widerstand gegen das diktatorische Regime kriminalisieren. Die Oppositionäre werden medizinisch/psychologisch behandelt. Seelisches Fehlverhalten wird mit der Verabreichung von Psychopharmaka gedämpft und Analytiker kontrollieren sogar die Gedankenwelt.

Mit der Geschichte „Die sensitiven Jahre“ führt uns T. Ziegler in die Welt der zukünftigen Filmstudios. Illusionserzeugenden Sensistrahlungen werden durch Reaktion der Neuronen und Synapsen ausgelöst. Mit Hilfe dieser  Sensistrahlung erlebt der Zuschauer die virtuellen Welten. Das Sensikino lässt Träume Wirklichkeit werden und versetzt in Nullzeit den Zuschauer an den Ort seiner Abenteuer. Man schmeckt die schwüle Dschungelluft und kämpft mit eigener Hand gegen wilde Tiere. Alles scheint möglich zu sein. Nur mit der Umsetzung eines Drehbuches bei der Produktion treten Schwierigkeiten auf.

Das Taschenbuch wird mit der Geschichte „Unter Tage“ abgeschlossen. Der Bedarf der planetaren Energiesyndikate fordert den umfangreichen Abbau von Uran. In dem Stollen eines Uranbergwerkes werden trotz modernster Technik Minenarbeiter verschüttet. All die Sicherheitsvorkehrungen schienen das Unglück nicht verhindern zu können. Überlebende verharren in dem eingestürzten Stollen und hoffen auf ihre Rettung. Als nichts geschieht müssen die Überlebenden schließlich die bittere Wahrheit für das Grubenunglück erkennen.

Anmerkung:

Thomas Ziegler (1957 – 2004) hatte sich bereits früh einen Namen als Schriftsteller gemacht. 1976 erschien bereits seine erste Kurzgeschichte. Ziegler, damals gerade 19 Jahre alt, legte damit den Grundstein für seinen Erfolg. Er galt als einer der interessantesten und engagierten jungen deutschen SF-Autoren. So urteilte das Heyne Science Fiction Lexikon: “Zieglers Texte zeichnen sich durch eine außergewöhnliche Atmosphäre, einen ökonomischen Stil und einen beklemmenden Realismus aus.“

Gerade diesem beklemmenden Realismus begegnet man in der Kurzgeschichten-Sammlung. Ziegler versteht es, dem Leser ein düsteres Szenario zu schildern. In seinen Geschichten haben sich die Protagonisten oftmals mit ihrem Schicksal abgefunden. Ihr Dasein scheint perspektivlos und ohne Glaube an eine Verbesserung in der Zukunft zu sein.

Claas Wahlers
22.05.2005